Ausgewählte Essays 2021

Im Fr¨¹hjahr 2022 hat der Strategic Foresight Hub die ETH-?Community zum zweiten Mal dazu eingeladen, ins Jahr 2040 zu reisen und Zukunftsvisionen zu teilen. Lese die ausgew?hlten Essays und stimme bis zum 1. Juli f¨¹r deinen Lieblingsessay!

Illustration: Niels Blaesi
Illustration: Niels Blaesi

Unsere Zeitreisenden haben in inspirierenden Essays Visionen ihres Alltags an einer hybriden Universit?t im Jahr 2040 geteilt! Die anschaulichen Beschreibungen beinhalteten spannende Ideen wie:

- Studierenden, die in dezentralen Hubs leben
- KI-assistierten Studienprogrammen
- 15-min¨¹tigen Videos, welche herk?mmliche Vorlesungen ersetzen
- Arbeiten und studieren to go
- Hybridisierung von Sozial- und Naturwissenschaften
- Hybridisierung aller Universit?ten zu einem globalen Universit?tsnetzwerk
- Studierende, die sich in virtuellen Universit?tswelten treffen
- Vorlesungen, die aufgrund der hohen Temperaturen nachts stattfinden
- Assistierende Roboter, die durch die eigenen Gedanken gesteuert werden

Das SFH-Team hat vier Aufs?tze f¨¹rs public voting ausgew?hlt. Kriterien f¨¹r die Auswahl waren Relevanz in Bezug auf die Fragestellung, Kreativit?t, unterliegende Ideen und Lesefluss/ Spannung. Die Abstimmung l?uft bis zum 1. Juli.

Der vom Publikum gew?hlte Essay, sowie einer vom SFH gew?hlter, werden weiterentwickelt, mithilfe von Foresight Methoden analysiert und als Booklet ver?ffentlicht.

Welcher Essay gef?llt
Dir am besten?

Illustration: Niels Blaesi
Illustration: Niels Blaesi

Die Abstimmung ist abgeschlossen.

Hier geht es zu den ausgew?hlten Essays.

DownloadEssay 1 (PDF, 45 KB)
Wahlfreiheit

Gedanken verloren sitze ich in der K¨¹che und schaue meinem Sohn beim Apfel essen zu. N?chstes Jahr wird er 20. Wie die Zeit fliegt, bin ich versucht zu sagen. Es scheint gestern, als er sich mit frechem L?cheln an die ersten Schritte gewagt hat. Aber dann kommen mir die turbulenten Jahre in den Sinn, die hinter uns liegen. Geboren wurde er mitten in der Coronapandemie.
Damals, insbesondere mit einem Baby, schien es mir ein Privileg von zu Hause aus zu arbeiten. Wie fortschrittlich wir uns damit doch f¨¹hlten, alles online und auf Distanz. Im R¨¹ckblick scheint es fast primitiv.

"Mit wem arbeitest du heute? "Mein Sohn unterbricht meine Gedanken. "Ich gehe hoch zu Angelika, der B?uerin, die gerade oft bei uns ist und helfe ihr mit den Brohnen. Vielleicht hat sie das Auge daf¨¹r, wie wir die Brummer noch verbessern k?nnen." antworte ich.
Die Brohnen - unsere Bienen-Drohnen - die wir im Kollaborativ an der ETH entwickelt haben, leisteten guten Einsatz, immerhin hatten wir nach Jahren mit weltweiten Hungersn?ten wieder h?ufiger frisches Essen auf dem Tisch. Trotzdem waren sie nicht perfekt. Sie zeigten immer noch eine Pr?ferenz f¨¹r gewisse Bl¨¹ten und Pflanzen. Die Ursache daf¨¹r in Simulationen zu entdecken, war schwierig. Vielleicht kam uns ja durch die Arbeit auf dem Hof die z¨¹ndende Idee.

In Gedanken driftete ich nochmal zur¨¹ck. Wie viel sich doch ge?ndert hatte. Kaum w?re es denkbar gewesen, dass Menschen ohne passendes Studium einfach Teil der ETH werden.

Heute ist das zum Gl¨¹ck anders. Alle haben begriffen, dass Innovation erst dort in vollem Umfang entstehen kann, wo Diversit?t gelebt wird. Theo kommt mir in den Sinn, der regelm??ig vorbeischaut, um das Summen der Brohnen zu bearbeiten. Als Konzertpianist hat er ein Ohr daf¨¹r und seine Intermezzi am Fl¨¹gel im Atrium sind f¨¹r viele eine willkommene Denkpause. Ich muss schmunzeln.

"Weswegen lachst du in dich hinein?" wieder reisst mich mein Sohn in die Gegenwart. "Ach. Ich musste daran denken, wie sch?n es ist, die Wahl zu haben." antworte ich. "Gehst du heute zu deiner Stammgruppe?", frage ich ihn. Er arbeitet, seit er vor kurzem seine obligatorische Lernzeit abgeschlossen hat, ebenfalls an der ETH und w?hlt seine Arbeit wie alle an zwei Tagen in der Woche frei. Die restliche Zeit z¨¹chtet er Brohnen kompatible Blumen im botanischen Garten.

"Neeh." Lacht er. "Ich helfe heute im Kindergarten am Zentrum. Die sind ganz begeistert von unseren neuen, farbigen Z¨¹chtungen." Ich runzle die Stirn. In letzter Zeit ist er an seinen Flex-Tagen fast immer dort statt im Gew?chshaus. "Nun ja und die Lara, die ist echt nett." schiebt er dann noch nach.

Daher weht der Wind also. Die Kinderg?rtnerin, ist vielleicht eher der Grund als die Begeisterung der Kleinen. "Es ist doch wirklich sch?n die Wahl zu haben!", sage ich und zwinkere ihm zu, vielleicht sollte ich bald mal im Kindergarten meine Arbeit vorstellen und nebenbei diese Lara kennenlernen.

Wenig sp?ter stehe ich unter den Apfelb?umen mit Angelika. Um uns herum brummen unsere Brohnen und sichern uns die n?chste Ernte. Angelika hatte ihre Flex-Tage in letzter Zeit bei uns in der Gruppe verbracht, nachdem ihr aufgefallen war, dass die Brohnen die Bl¨¹ten erst kurz vor dem Verwelken anfliegen, was die Ausbeute der Ernte leider gewaltig reduzierte.

Wir beobachten, r?tseln und diskutieren eine lange Weile, was f¨¹r Verbesserungen wir vornehmen k?nnten.
Neben uns spielt Angelikas Tochter mit einem Ball und fragt dazwischen, wor¨¹ber wir sprechen w¨¹rden. Als ich ihr erkl?re, dass wir nicht verstehen, warum die Brohnen nicht sehen, wann die Bl¨¹ten am sch?nsten seien, lacht sie. Daraufhin schliesst sie die Augen, streckt die Nase hoch in die Luft und atmet tief ein. Sie m¨¹ssen nicht sehen, sie m¨¹ssen riechen, ruft sie dann und rennt ihrem Ball hinterher.

Angelika und ich schauen uns an und im Bewusstsein, dass uns gerade ein kleines M?dchen einen Schritt weiter gebracht hatte und wir wohl n?chste Woche im Roboter Labor Geruchssensoren studieren w¨¹rden, lachen wir los.

DownloadEssay 2 (PDF, 51 KB)
Ein typischer Mittwoch im Leben einer Chemieprofessorin in Singapur im Jahr 2040

ins Deutsche ¨¹bersetzt

Mittwoch, 12. Oktober 2040, Singapur, gegen 8 Uhr morgens.

Maria sitzt in ihrem B¨¹ro an der Universit?t. Es befindet sich auf zweiten Etage. Sie hat das Privileg, ein Fenster zu haben. Auch wenn das Fenster blau get?nt ist, um sie vor UV-Strahlung zu sch¨¹tzen, kann sie die St¨¹rme und Blitze sehen, die etwa alle zwei Tage auftreten.
Maria sitzt in ihrem ergonomischen, weichen Biostuhl und streckt ihre F¨¹sse unter dem Schreibtisch aus recyceltem Holz und Kunststoff aus. In der Hand h?lt sie eine Tube mit 3D-gedrucktem Kaffee-Vitamin D. Heute ist auf der Tube ein Eichh?rnchen abgebildet, um auf diese bedrohte Tierart aufmerksam zu machen. Maria braucht ihre t?gliche Dosis Vitamin D, da sie nur selten nach draussen geht. Die Kombination aus hohen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit verunm?glicht beinahe das Atmen. Sie tr?gt legere, elegante Kleidung, ein beiges Ensemble aus Kombucha-Stoff und eine dunkelrosa Jacke aus Bambusfasern. Ihr Haar ist kurz und hellbraun. Sie hatte sich vor einigen Jahren die Haare geschnitten, um daraus eine neue Handtasche der Firma Recyclair zu machen.

Deexiwala ist Marias B¨¹ro-Dipteroboter, hergestellt von der multinationalen Firma 10M. Deexiwala sieht aus wie ein tropischer Baum aus der Familie der Dipterokarpfen, mit einem menschen?hnlichen Gesicht in der Mitte des Stammes. Deexiwala steht stolz in der hinteren Ecke des B¨¹ros, seine ?ste ragen durch die Decke und die W?nde, um sich mit den anderen Dipterobots der Universit?t sowie mit dem Aussenbereich zu verbinden. Deexiwala reinigt die Luft in Marias B¨¹ro, destilliert Wasser und zeichnet alle Daten und Informationen auf, die in Marias B¨¹ro und Labor anfallen. Deexiwala ist mit GA, der Grande Armillaria, verbunden. Die GA ist das organische Netz, das alle Roboter aller Art mit einem einzigen DNA-verbesserten Pilz der Art Armillaria gallica verbindet. Deexiwala wurde so programmiert, dass er mit der Stimme von Marias Mutter spricht.

Maria (sich streckend) Deexiwala, was habe ich heute vor?

Deexiwala (monotone Stimme) 9 Uhr, Vorlesung 6 f¨¹r die Studierende von Seattle ¨¹ber Biokraftstoffsynthese durch Libellen im Hologramm-Aufnahmezentrum.

Maria (streckt sich immer noch) Wie gehe ich noch mal zum HAC?

Deexiwala (immer noch monotone Stimme) Vom B¨¹ro aus nehmen Sie den Aufzug zur Ebene B10. Nehmen Sie die Unterf¨¹hrung 13 auf der linken Seite bis zum Bel¨¹ftungsschacht Lee Boon Chan. Biegen Sie dann links in die Unterf¨¹hrung der Autobahn A3 ein. An der JEM-Unterf¨¹hrung nehmen Sie den Aufzug zur Ebene B5.

Maria (setzt sich pl?tzlich auf und sieht Deexiwala an) Warum nicht Unterf¨¹hrung 14?

Deexiwala (spricht jetzt mit Betonung) Die Unterf¨¹hrung 14 wird gerade renoviert. Die Bodentemperatur in diesem Bereich hat gestern 40 Grad Celsius ¨¹berschritten, was zu Kondenswasser in der Bel¨¹ftungsleitung Van Nam Pong gef¨¹hrt hat und die gesamte Unterf¨¹hrung ¨¹berflutet hat.

Maria Oh, ok. (kurze Pause, sie nippt eine Weile an ihrer Tube mit festem Kaffee-Vitamin D und schaut dann auf die digitale Tafel, die an der Wand h?ngt.) Und nach der HAC Lektion?

Deexiwala (gelangweilt) Um 12 Uhr bringen Sie den Woofrail in die Kindertagesst?tte zum Mittagessen und zu Ihrer t?glichen Eltern-Kind-Bindungsaktivit?t.

Maria Gehen wir diese Woche in den Indoor-Park?

Deexiwala Die heutige Aktivit?t ist ein virtueller Spaziergang durch das alte Singapur, als Temperatur und Luftfeuchtigkeit es noch erlaubten, tags¨¹ber draussen zu sein.

Maria (pl?tzlich aufgeregt, h?rt auf zu nippen) Toll, ich liebe das! Und am Nachmittag?

Deexiwala (spricht schnell) 14 Uhr: Erstellung von Visualisierungen f¨¹r das Food on Mars Stipendium. 17 Uhr: Treffen mit der Doktorandin Amoolyia. 18 Uhr: Woofrail zur Kindertagesst?tte.

Maria (scrollt jetzt durch die digitale Tafel, indem sie Gesten in der Luft nach oben und unten macht). Kommt Amoolyia zu mir ins B¨¹ro?

Deexiwala (normale Stimme) Sie sagte, sie wolle sich lieber im Labor treffen, damit sie ihr laufendes Experiment betreuen kann. Offenbar haben einige Heuschrecken ein antisoziales Verhalten, das sie dazu bringt, vermehrt Treibstoff auszuscheiden.

Maria (liest weiter) Und was war der letzte Wert, den sie f¨¹r die Energieerzeugung mit dem Heuschrecken-Salmonellen-System ermittelt hat?

Deexiwala 160 Wh pro Insekt.

Maria (wieder aufgeregt) Nicht schlecht! Erinnere mich daran, sie zu bitten, eine Vorhersage zu machen, wie viele Insekten wir brauchen, um den Woofrail einen Tag lang aufzuladen.

Maria steht schnell auf, nimmt ihre Handtasche und verl?sst eilig den Raum.

DownloadEssay 4 (PDF, 44 KB)
Hybrid

Es ist 7:30 Uhr morgens, mein Wecker klingelt. Die t?gliche Routine sorgt daf¨¹r, dass ich wie die meisten Tage schon ein paar Minuten vorher wach bin. Dennoch warte ich bis der Wecker klingelt. Aus Prinzip. Es ist Mittwoch, damit die H?lfte der Woche fast geschafft. Das Fr¨¹hst¨¹ck beschliesse ich bei diesem sch?nen Wetter draussen im Park einzunehmen. Beim Buffet treffe ich Francesco und Aleen, welche dieselbe Idee hatten. Francesco ist wie ich in der Schweiz aufgewachsen, allerdings im italienischsprachigen Teil, und studiert nun mit mir Maschineningenieurwissenschaften im 3. Semester an der ETH, am Standort an der portugiesischen K¨¹ste. Aleen hingegen ist in London aufgewachsen und derzeit an einer englischen Universit?t eingeschrieben. Dass wir gemeinsam hier sein k?nnen, haben wir einer grundlegenden ?nderung der universit?ren Lehre unter dem Namen ?Hybrid University? zu verdanken. Hybrid ist dabei die Vermittlung der Theorie, welche fast ausschliesslich digital stattfindet und mit praktischer Forschung und ?bungen vor Ort kombiniert wird. Dies bedeutet mehr Forschungszeit f¨¹r Lehrende und erm?glichte, Zweitstandorte der ETH ausserhalb von Z¨¹rich und der Schweiz zu er?ffnen. Nun wird nicht mehr geforscht, wo der Ó¢»ÊÓéÀÖ liegt, sondern der Ó¢»ÊÓéÀÖ liegt dort, wo geforscht werden kann. Ich interessiere mich sehr f¨¹r solare Energienutzung, weshalb ich mich f¨¹r den Forschungsstandort in Portugal entschieden habe, wo neben vielen anderen Dingen zu Carbon Capture Verfahren und solarer Meerwasserentsalzung geforscht wird.

Ein ?hnliches Konzept wie die Hybrid-Universit?t wurde auch an anderen Universit?ten umgesetzt. Der hiesige Standort wird deshalb auch von anderen Universit?ten betrieben, der Grund weshalb Aleen hier ist. Dies erm?glicht die Vernetzung innerhalb von Europa und das Kombinieren unterschiedlicher Ans?tze.

Die Hybrid Universit?t brachte f¨¹r alle Vorteile. F¨¹r die Professor:innen bedeutete es mehr Forschungszeit, f¨¹r die Studierenden eine flexiblere Lerngestaltung, damit h?here Effizienz und mehr Zeit f¨¹r anderes, f¨¹r die ETH mehr internationale Studierende wegen der guten Forschungsbedingungen an vielf?ltigen Standorten und f¨¹r die Schweizer Wirtschaft international noch besser vernetzte Forscher:innen.
Nach dem Fr¨¹hst¨¹ck gehen wir zu den Lernpl?tzen im Park. Hier ist es etwas k¨¹hler als im Rest des Ó¢»ÊÓéÀÖ. Ab 10 Uhr haben Francesco und ich eine ?bungslektion bis zum Mittag, bis dahin k?nnen wir Theorievideos schauen. Es gibt zu jedem Thema drei verschiedene Videos, welche unterschiedlich ausf¨¹hrlich sind. So verliert man keine Zeit mit Dingen, die man schon verstanden hat, kann aber gegebenenfalls die n?tigen Erkl?rungen erhalten.

?ber den Mittag ist es meist sehr heiss. Im Park und in den Geb?uden ist es zwar auszuhalten, aber die Sonne und das Mittagessen machen es einem nicht leicht sich zu konzentrieren, weshalb wir dann meist einen Mittagsschlaf machen. Am Nachmittag treffen wir uns dann in unserer Projektgruppe. Man kann entweder an den ?grossen? Forschungsprojekten mitarbeiten, die, wegen denen der Standort hier gew?hlt wurde, oder selbst Projektideen einreichen. Ich habe mich f¨¹r die Mitarbeit am Meerwasserentsalzungsprojekt entschieden, wo wir nun zu f¨¹nft in unserer Projektgruppe an einer Verbesserung des Grobfilterreinigungssystems arbeiten. Ich sch?tze sehr, dass wir in dieser Gruppe sowohl international gemischt sind als auch ¨¹ber verschiedene Jahrg?nge hinweg zusammenarbeiten. So kann ich von ?lteren Masterstudierenden profitieren, und sie k?nnen Erfahrungen in der Teamleitung sammeln.

Anschliessend gehe ich relativ fr¨¹h in die Abendpause. Zusammen mit meinen Freunden gehen wir essen und manchmal spielen wir noch eine Runde Volleyball. W?hrend viele so den Tag ausklingen lassen und daf¨¹r am n?chsten Morgen etwas fr¨¹her aufstehen, nutze ich lieber die k¨¹hlen Abendstunden, um noch ein paar ?bungsaufgaben zu l?sen.

Welcher Essay gef?llt
Dir am besten?

Illustration: Niels Blaesi
Illustration: Niels Blaesi

Die Abstimmung ist abgeschlossen.

Ausgew?hlte Essays werden in K¨¹rze bekannt gegeben.

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